So, ich hab das Glasperlenspiel von Hermann Hesse durch.
Eindruck
Zuerst will ich noch mal unterstreichen, dass man dieses Buch nicht lesen sollte, wenn man nicht eine gewisse Vorstellung von dem Typen dahinter hat. Das macht wirklich keinen Sinn, es ist sozusagen Hesse Reloaded. Und eigentlich wollte ich hinter meinen ersten Satz oben direkt "Was ein Krampf!" schreiben, denn die ersten – I SHIT YOU NOT – 300 Seiten des Buchs sind meiner Meinung nach mega anstrengend, uninteressant und unglaublich lang gezogen. Es liest sich, als wäre jemand der Meinung gewesen, ein Buch bräuchte eine möglichst idiotensichere und umfassende Exposition, bevor es richtig losgehen kann, und dass diese Exposition auch schon mal die Hälfte der 600 Seiten fressen darf. Das Ganze ist zwar nicht ganz frei von Faszination (gerade durch das fiktive Setting, für das sich Hesse erstmal fett auf der ersten Seite rechtfertigt), und ich bilde mir ein, ich hätte beim Steppenwolf eine ähnliche Erfahrung gemacht, aber in diesem Umfang geht das echt gar nicht, Intention oder Interpretation hin oder her. Es erinnert mich in diesem Sinne an Unterm Rad – zu wenig für so viel Text! – und wenn es nicht Hesse und nicht dieses Buch gewesen wären, hätte ich es schnell abgebrochen.
Danach geht es dann aber aufwärts. Nicht nur bekommt die Hauptstory etwas Konflikt, etwas Fleisch, eine weniger konventionelle Auflösung, gerade die Gedichte und die fiktiven Lebensläufe des Hauptcharakters bringen eine Vielseitigkeit in das Buch, die es unbedingt braucht, um seinen Umfang zu rechtfertigen. Besonders der Beichtvater und der indische Lebenslauf haben mir dann richtig gut gefallen. Der Gesamteindruck wird dadurch "echt interessant", denn 300 Seiten Krampf vergesse ich nicht einfach, so gut mir das Ende auch gefallen hat. Und ich denke auch nicht, dass die dafür wirklich nötig gewesen sind.
Inhaltlich geht es im Glasperlenspiel eigentlich um zwei verschiedene Themen.
Meister und Schüler
Das erste, die Beziehung zwischen Meister und Schüler, der Kreis des Lernens und Lehrens, wirkt sehr persönlich, fast als hätte sich Hesse hier nicht mit einem Thema beschäftigen, sondern seine eigenen Erfahrungen und Meinungen dazu niederschreiben wollen, um sie nicht zu vergessen. Was nicht per se schlecht ist, und vor allem am Ende ergibt das Ganze schon einen sehr runden Kreis, ein dickes Gesamtwerk in dieser Sache. Ich musste trotz allem öfter mal an Knights of the Old Republic II denken, das sich ja ebenfalls damit beschäftigt, an den Charakter Kreia, an Zitate wie dieses hier:
...und irgendwie finde ich komisch, dass ein halbfertiges Obsidian-Videospiel dieses Thema für mich so viel eingängiger, so viel stärker angeht als Hermann Hesse. Aber hey, warum nicht? Es IST ein gutes Videospiel, und es idealisiert diese Beziehung nun mal nicht so einseitig, fokussiert sich nicht nur auf ihre scheinbare Allgemeingültigkeit als Baustein der menschlichen Realität, sondern stellt sie auch infrage und zeigt die Gefahren, die Irrwege und vor allem die Alternativen. Ich sage später noch mal was dazu, aber letztendlich verwendet Hesse eine Menge Energie, um sich ein nettes, rundes Weltbild aufzubauen, statt sich die tatsächliche Welt anzuschauen.Zitat
Gefühl und Verstand
Das zweite Thema stellt eigentlich nur den Hintergrund, den Konfliktherd für Meister und Schüler, nämlich diese uralte Wahrnehmung einer Distanz zwischen Instinkt und Verstand, Gefühl und Vernunft ... was heute tatsächlich deutlich aktueller scheint als das Hauptthema, wo man in den Staaten doch immer wieder den "Culture War" befeuert und sich wegen Trump streitet, wo man hierzulande über den Populismus sowie die Elfenbeintürme der Intellektuellen und Politiker wettert. Ich denke aber nicht, dass Hesse in dieser Sache eine hilfreiche Autorität ist, oder nur ein gut gemeintes Beispiel, wie man es nicht machen sollte.
Denn so sehr er sich praktisch schon seit seinen früheren Büchern an einer Synthese versucht, so sehr er betont, dass auch die "Weltmenschen" eine Weisheit haben, die Joseph Knecht erstrebenswert und wertvoll erscheint – und die er in seinen letzten Lebensabschnitten auch zu erreichen scheint! –, so wahnsinnig distanziert liest sich all das, spätestens in diesem lahmen, Hochkultur-verliebten Schreibstil selbst. Der alte Hesse selbst ist offensichtlich ein astreiner Vorzeige-Intellektueller, der die "Weltmenschen" mit einer distanzierten Faszination betrachtet, immer noch von oben herab, wie einen Menschenzoo mit edlen Wilden. Anders gesagt, er will offenbar einen Riss zwischen Weltlichem und Geistigem aufzeigen, ist aber eigentlich Teil dieses Problems.
Egozeit!
An der Stelle trifft mich das Buch auch wieder sehr persönlich, was ich an Hesse schon immer geschätzt habe. Da ist eine Menge drin, mit der ich mich viel zu gut identifizieren kann, seien es Ideale, Ängste, Charakterprobleme, zwischenmenschliche Erfahrungen ... alles dabei. Beispielhaft nur mal dieses bekannte Gedicht hier.
Geht mir schon sehr nah, und Hesses Schwächen selbst sind da auch wieder ein teils unangenehmer, teils beruhigender Spiegel.Zitat
Hesse als arme Wurst
... deeeenn atsächlich habe ich beim Glasperlenspiel wieder DEUTLICH gemerkt, wie viele Probleme der Mann selbst mit sich herumgetragen haben muss, wie stark die sich in seinen Büchern niederschlagen, wie sie die Bücher sicherlich interessant, aber auch schlechter und fragwürdiger machen. Am offensichtlichsten finde ich im Glasperlenspiel etwa dieses Bild des zufriedenen sterbenden Mannes, der ja ach so erleuchtet ist, dass ihm die Welt nix mehr anhaben kann. Das war zwar nicht die einzige Stelle, an der sich eine gewisse Angst vor dem Tod durch die Zeilen schummelt, aber HOLY FUCK, wollte sich dieser Mann überzeugen, alles richtig zu machen! Oder es zumindest richtig machen zu können, bevor er draufgeht. Zynisch betrachtet ist das ganze Buch ein Versuch, ein Weltbild des "richtigen Lebens" zu bestätigen, eine Naturgegebenheit, und gerade durch die oben beschriebenen Widersprüche und die veralteten Momente wirkt das Ganze heute so. verdammt. traurig. Ein gutes Beispiel ist etwa auch die Sache mit dem lächerlich dualistischen Frauenbild und der homoerotischen Dimension: Alle zwei (!) wichtigen Frauen auf diesen 600 Seiten sind fleischliche Hindernisse, und wenn Hesse nicht ernsthafte Probleme gehabt hat, seine Gefühle und Beziehungen in Einklang mit seinem Selbstbild zu kriegen, fresse ich einen Besen.
Wie gesagt, das ist natürlich alles ein Teil dessen, was ihn auch heute noch interessant und spannend macht. Aber während er früher ein absolutes Idol für mich war, sehe ich momentan gerade das Glasperlenspiel in vielerlei Hinsicht als ein hübsches und interessantes Glashaus, in dem bloß niemand mit Steinen werfen sollte.
Damit läuft die Challenge! o/